Der Chef der malischen Übergangsregierung, Premierminister Diarra, hat am frühen Dienstagmorgen am staatlichen Fernsehen seine Demission bekanntgegeben. Die Ankündigung erfolgte laut der französischen Agentur AFP knapp und ohne weitere Erklärung. Einige Stunden zuvor war Diarra in seinem Haus von Soldaten aus der Entourage von Hauptmann Sanogo, dem Anführer der Putschisten vom letzten März, aus dem Bett geholt und festgenommen worden.
Malische Doppelkrise
Die Putschisten, deren Machtanspruch in den vergangenen neun Monaten nie wirksam gebrochen worden war, wollten offenbar eine für Dienstag geplante Reise des Regierungschefs nach Paris verhindern. Der 60-jährige Diarra wollte sich dort medizinisch überprüfen lassen, aber man kann davon ausgehen, dass er auch Gespräche mit der französischen Regierung im Hinblick auf eine ausländische Militärintervention im Norden Malis führen wollte. Diarra ist ein Befürworter des geplanten westafrikanischen Militäreinsatzes gegen islamistische Rebellen, der logistisch und finanziell von Paris und anderen westlichen Staaten unterstützt werden soll. Die Putschisten um Sanogo lehnen die Intervention in der geplanten Form dagegen ab, weil sie einen Rückgang ihres Einflusses befürchten.
Falls Diarra definitiv ersetzt wird und Sanogo und seine Männer nicht umgehend von den Nachbarstaaten in der Communauté économique des Etats d’Afrique de l’Ouest (Cédéao) zur Raison gerufen werden, kündigt sich eine weitere Verschärfung der Krise in Mali an. Eigentlich sind es deren zwei, die sich gegenseitig hochschaukeln: Erstens die Eroberung der Wüstengebiete im Norden zu Beginn des Jahres durch sezessionistische, später islamistische Tuareg-Rebellen und Gruppen, die sich zum Terrornetz al-Kaida bekennen; zweitens eine Verfassungskrise und der Zerfall der Institutionen in der Hauptstadt Bamako.
Die Putschisten um Hauptmann Sanogo hatten am 22. März Präsident Touré gestürzt, laut eigenen Aussagen, weil sie im Kampf gegen die Rebellen von der politischen Klasse im Stich gelassen worden waren. Einschneidende Wirtschaftssanktionen der Cédéao zwangen Sanogo im April zwar zum Einlenken. Die jungen Offiziere zogen sich der Form nach in die Kasernen zurück, aber es gelang ihnen, innerhalb der Armee ihren Einfluss zu wahren. Bei den Plänen zur Rückeroberung des Nordens spielen die Regierungstruppen eine wichtige Rolle, da die ausländischen Einheiten der Cédéao nur vorbereitend und in gezielten Aktionen eingesetzt werden sollen.
Diarra, ein angesehener Astrophysiker, der für die Nasa gearbeitet hatte und neben der malischen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, versucht seit April, im Gespann mit Übergangspräsident Traoré die Verfassungskrise in Bamako zu meistern. Er hatte Sanogo damit beauftragt, die Armee zu reformieren. Die Aufgabe, die offensichtlich bezweckte, den Tatendrang des Putschistenchef zu zähmen, ist nun gescheitert.
Bei den Auseinandersetzungen innerhalb der Führung in Bamako spielen ausser gegensätzlichen Machtansprüchen auch Meinungsverschiedenheiten über politische Zugeständnisse gegenüber den Tuareg-Rebellen eine Rolle. Erst letzte Woche hatten in der burkinabischen Hauptstadt Ouagadougou Direktverhandlungen der malischen Übergangsregierung mit Vertretern des Mouvement national pour la libération de l’Azawad (MNLA) und der Gruppe Ansar ad-Din begonnen.
Der säkulare MNLA, der die Tuareg-Rebellion im Januar vom Zaun gebrochen hatte, ist mittlerweile ins Hintertreffen geraten und musste überall im Norden vor den besser ausgerüsteten Islamisten weichen – vergangenen Monat auch aus einer letzten Hochburg in der nordöstlichen Region Gao. Die Islamisten von Ansar ad-Din beherrschen Timbuktu und wendeten sich letzten Monat gegen ihre ehemaligen Verbündeten in den al-Kaida-Allianzen, worunter der Mouvement pour l’unicité et le jihad en Afrique de l’Ouest (Mujao), der Gao beherrscht, sowie die Gruppe al-Kaida au Maghreb islamique (Aqmi) fallen. Mujao und Aqmi rekrutieren ihre Kämpfer unter Kriminellen und ausländischen Jihadisten.
Aufwind für Revanchisten
Die Strategie der Cédeáo und ihrer westlichen Verbündeten ist einleuchtend, aber zerbrechlich. Danach hat eine «Rückeroberung» und staatliche Einbindung des malischen Nordens nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie sowohl politisch, als auch militärisch erfolgt – durch Konzessionen gegenüber den Tuareg einerseits und Kampfeinsätzen gegen die Extremisten von Mujao und Aqmi andererseits. Verhandlungen mit den Tuareg-Aufständischen, die einen Keil zwischen Teile des Aufstands treiben könnten, sind in Bamako jedoch umstritten, vor allem, wenn sie in greifbare Zugeständnisse wie Einnahmequellen und eine grössere Autonomie für den Norden münden. Wegen der Aufmerksamkeit, die Mali im Ausland zuteil wird, und den damit einhergehenden Hilfeversprechen haben Revanchisten Aufwind, die von alledem nichts wissen wollen und einzig eine militärische Lösung anvisieren. Zu ihnen gehören auch die Putschisten.