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Wie die Welt verändern, die strategischen Vorstellungen von Karl Marx: Um soziale Gesetze ringen die die Menschen vor den Auswirkungen freier Märkte schützen, Selbstorganisierte Betriebe aufbauen, sie mit staatlichen Mittel fördern, den Vorurteilen gegen andere Völker entgegenwirken, den Kriegen der herrschenden Schichten für ihre Interessen, das geschwisterliche Band zwischen den Arbeitenden aller Länder knüpfen und in jedem Land für faire Außenbeziehungen zu allen Ländern ringen!

Karl Marx

Inauguraladresse
der Internationalen Arbeiter-Assoziation,

gegründet am 28. September 1864
in öffentlicher Versammlung in St. Martin’s Hall, Long Acre, in London

Geschrieben zwischen dem 21. und 27. Oktober 1864. Auszüge: (…)

Ringen zur Durchsetzung von Gesetzen zur Kontrolle sozialer Produktion durch soziale Ein- und Vorsicht gegen das Wirken der blinden Herrschaft von Nachfrage und Zufuhr:

Der Kampf über die gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit wütete um so heftiger, je mehr er, abgesehen von aufgeschreckter Habsucht, in der Tat die große Streitfrage traf, die Streitfrage zwischen der blinden Herrschaft der Gesetze von Nachfrage und Zufuhr, welche die politische Ökonomie der Mittelklasse bildet, und der Kontrolle sozialer Produktion durch soziale Ein- und Vorsicht, welche die politische Ökonomie der Arbeiterklasse bildet. Die Zehnstundenbill war daher nicht bloß eine große praktische Errungenschaft, sie war der Sieg eines Prinzips. Zum erstenmal erlag die politische Ökonomie der Mittelklasse in hellem Tageslicht vor der politischen Ökonomie der Arbeiterklasse.

Alternativbetriebe und Projekte voranbringen und zeigen, dass von den Arbeitenden selbst organisierte Produktion möglich ist!

Ein noch größerer Sieg der politischen Ökonomie der Arbeit über die politische Ökonomie des Kapitals {1} stand bevor. Wir sprechen von derKooperativbewegung, namentlich den Kooperativfabriken, diesem Werk {2} weniger kühnen „Hände“ (hands). Der Wert dieser großen Experimente kann nicht überschätzt werden. Durch die Tat, statt durch Argumente, bewiesen sie, daß Produktion auf großer Stufenleiter und im Einklang mit dem Fortschritt moderner Wissenschaft vorgehen kann ohne die Existenz einer Klasse von Meistern (masters), die eine Klasse von „Händen“ anwendet; daß, um Früchte zu tragen, die Mittel der Arbeit nicht monopolisiert zu werden brauchen als Mittel der Herrschaft über und Mittel der Ausbeutung gegen den Arbeiter selbst, und daß wie Sklavenarbeit, wie Leibeigenenarbeit so Lohnarbeit nur eine vorübergehende und untergeordnete gesellschaftliche Form ist, bestimmt zu verschwinden|12| vor der assoziierten Arbeit, die ihr Werk mit williger Hand, rüstigem Geist und fröhlichen Herzens verrichtet. In England wurde der Samen des Kooperativsystems von Robert Owen ausgestreut; die auf dem Kontinent versuchten Arbeiterexperimente waren in der Tat der nächste praktische Ausgang der Theorien, die 1848 nicht erfunden, wohl aber laut proklamiert wurden.

Zur selben Zeit bewies die Erfahrung der Periode von 1848 bis 1864 unzweifelhaft, was die intelligentesten Führer der Arbeiterklasse in den Jahren 1851 und 1852 gegenüber der Kooperativbewegung in England bereits geltend machten, daß, wie ausgezeichnet im Prinzip und wie nützlich in der Praxis, kooperative Arbeit, wenn beschränkt auf den engen Kreis gelegentlicher Versuche vereinzelter Arbeiter, unfähig ist, das Wachstum des Monopols in geometrischer Progression aufzuhalten, die Massen zu befreien, ja die Wucht ihres Elends auch nur merklich zu erleichtern. (..)

Mehrheiten in Parlamenten, Regierungen und der Zivilgesellschaft organisieren, um mit den Mitteln des Staates selbstorganisierte Produktion landesweit zu fördern

Um die arbeitenden Massen zu befreien, bedarf das Kooperativsystem der Entwicklung auf nationaler Stufenleiter und der Förderung durch nationale Mittel. Aber die Herren von Grund und Boden und die Herren vom Kapital werden ihre politischen Privilegien stets gebrauchen zur Verteidigung und zur Verewigung ihrer ökonomischen Monopole. Statt die Emanzipation der Arbeit zu fordern, werden sie fortfahren, ihr jedes mögliche Hindernis in den Weg zu legen. Lord Palmerston sprach aus ihrer Seele, als er in der letzten Parlamentssitzung den Verteidigern der Rechte der irischen Pächter höhnend zuschrie: „Das Haus der Gemeinen ist ein Haus von Grundeigentümern!“

Politische Macht zu erobern ist daher jetzt die große Pflicht der Arbeiterklassen. Sie scheinen dies begriffen zu haben, denn in England, Frankreich, Deutschland und Italien zeigt sich ein gleichzeitiges Wiederaufleben und finden gleichzeitige Versuche zur Reorganisation der Arbeiterpartei statt. Ein Element des Erfolges besitzt sie, die Zahl. Aber Zahlen fallen nur in die Waagschale, wenn Kombination sie vereint und Kenntnis sie leitet.

Die Geschwisterlichkeit auf internationaler Ebene organisieren

Die vergangene Erfahrung hat gezeigt, wie Mißachtung des Bandes der Brüderlichkeit, welches die Arbeiter der verschiedenen Länder verbinden und sie anfeuern sollte, in allen ihren Kämpfen für Emanzipation fest beieinanderzustehen, stets gezüchtigt wird durch die gemeinschaft- |13| liche Vereitlung ihrer zusammenhangslosen Versuche. Es war dies Bewußtsein, das die Arbeiter verschiedener Länder, versammelt am 28. September 1864 in dem öffentlichen Meeting zu St. Martin’s Hall, London, anspornte zur Stiftung der Internationalen Assoziation

Den Vorurteilen zwischen den Nationen entgegenwirken, Kriege verhindern, in die Geheimnisse der internationalen Politik eindringen, die Außenpolitik der Regierung überwachen, wenn nötig ihr entgegenwirken, um eine den moralischen Gesetzen gehorchende Außenpolitik ringen

Eine andere Überzeugung beseelte jenes Meeting.

Wenn die Emanzipation der Arbeiterklassen das Zusammenwirken verschiedener Nationen erheischt, wie jenes große Ziel erreichen mit einer auswärtigen Politik, die frevelhafte Zwecke verfolgt, mit Nationalvorurteilen ihr Spiel treibt und in piratischen Kriegen des Volkes Blut und Gut vergeudet? Nicht die Weisheit der herrschenden Klassen, sondern der heroische Widerstand der englischen Arbeiterklasse gegen ihre verbrecherische Torheit bewahrte den Westen Europas vor einer transatlantischen Kreuzfahrt für die Verewigung und Propaganda der Sklaverei. Der schamlose Beifall, die Scheinsympathie oder idiotische Gleichgültigkeit, womit die höheren Klassen Europas dem Meuchelmord des heroischen Polen und der Erbeutung der Bergveste des Kaukasus durch Rußland zusahen; die ungeheueren und ohne Widerstand erlaubten Übergriffe dieser barbarischen Macht, deren Kopf zu St. Petersburg und deren Hand in jedem Kabinett von Europa, haben den Arbeiterklassen die Pflicht gelehrt, in die Geheimnisse der internationalen Politik einzudringen, die diplomatischen Akte ihrer respektiven Regierungen zu überwachen, ihnen wenn nötig entgegenzuwirken; wenn unfähig zuvorzukommen, sich zu vereinen in gleichzeitigen Denunziationen und die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts, welche die Beziehungen von Privatpersonen regeln sollten, als die obersten Gesetze des Verkehrs von Nationen geltend zu machen.

Der Kampf für solch eine auswärtige Politik ist eingeschlossen im allgemeinen Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse.

Proletarier aller Länder, vereinigt euch!

http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_005.htm

Die Londoner Konferenz 1864

Die aus 13 europäischen Ländern und den USA stammenden knapp 2000 Teilnehmer gründeten die IAA am 28. September 1864 in der Londoner St. Martin’s Hall. Führendes Gremium war der Generalrat, dessen Präsidium Karl Marx angehörte. Er war vom Londoner Deutschen Arbeiterbildungsverein eingeladen worden und formulierte die wichtigsten Erklärungen und Adressen, so die berühmte Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation.[2] Johann Georg Eccarius war als weiterer deutscher Vertreter zur Gründungsversammlung eingeladen worden. Neben Marx und Eccarius zählten Carl Heinrich PfänderFriedrich LeßnerGeorg Lochner und Karl Kaub zu deren Generalrat.

http://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Arbeiterassoziation

Datei:Baselerkongress 1869.jpg

Die Delegierten des Basler Kongresses der Internationalen Arbeiterassociation 1869

Karl Marx und Adam Smith – so aktuell wie nie: Wenn die Emanzipation der Arbeiterklassen das Zusammenwirken verschiedener Nationen erheischt, wie jenes große Ziel erreichen mit einer auswärtigen Politik, die frevelhafte Zwecke verfolgt, mit Nationalvorurteilen ihr Spiel treibt und in piratischen Kriegen des Volkes Blut und Gut vergeudet? Sie haben den Arbeiterklassen die Pflicht gelehrt, in die Geheimnisse der internationalen Politik einzudringen, die diplomatischen Akte ihrer respektiven Regierungen zu überwachen, ihnen wenn nötig entgegenzuwirken; wenn unfähig zuvorzukommen, sich zu vereinen in gleichzeitigen Denunziationen und die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts, welche die Beziehungen von Privatpersonen regeln sollten, als die obersten Gesetze des Verkehrs von Nationen geltend zu machen.“ Adam Smith sah, dass „das Übergewicht an Macht auf Seiten der Europäer so groß (war), dass sie sich jede Art Ungerechtigkeit in diesen fernen Gegenden erlauben konnten“. Er hoffte auf den Tag, an dem „die Bewohner aller Regionen der Welt den gleichen Mut und die gleiche Stärke erlangen, wodurch es zu einem Gleichgewicht in der Abschreckung kommt, dass allein die Ungerechtigkeit unabhängiger Nationen in eine Art Respekt von gegenseitigen Rechten umwandeln vermag.“

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„Wenn die Emanzipation der Arbeiterklassen das Zusammenwirken verschiedener Nationen erheischt, wie jenes große Ziel erreichen mit einer auswärtigen Politik, die frevelhafte Zwecke verfolgt, mit Nationalvorurteilen ihr Spiel treibt und in piratischen Kriegen des Volkes Blut und Gut vergeudet? Nicht die Weisheit der herrschenden Klassen, sondern der heroische Widerstand der englischen Arbeiterklasse gegen ihre verbrecherische Torheit bewahrte den Westen Europas vor einer transatlantischen Kreuzfahrt für die Verewigung und Propaganda der Sklaverei. Der schamlose Beifall, die Scheinsympathie oder idiotische Gleichgültigkeit, womit die höheren Klassen Europas dem Meuchelmord des heroischen Polen und der Erbeutung der Bergveste des Kaukasus durch Rußland zusahen; die ungeheueren und ohne Widerstand erlaubten Übergriffe dieser barbarischen Macht, deren Kopf zu St. Petersburg und deren Hand in jedem Kabinett von Europa, haben den Arbeiterklassen die Pflicht gelehrt, in die Geheimnisse der internationalen Politik einzudringen, die diplomatischen Akte ihrer respektiven Regierungen zu überwachen, ihnen wenn nötig entgegenzuwirken; wenn unfähig zuvorzukommen, sich zu vereinen in gleichzeitigen Denunziationen und die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts, welche die Beziehungen

von Privatpersonen regeln sollten, als die obersten Gesetze des Verkehrs von Nationen geltend zu machen.

Der Kampf für solch eine auswärtige Politik ist eingeschlossen im allgemeinen Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse.

Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“

http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_005.htm

Wer mit uns daran arbeiten will, uns darin kompetent zu machen, melde sich bitte!

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Adam Smith trat ein für die Schaffung eines Zeitalter des gegenseitigen Respekts und nutzbringenden Handelsaustausches. Das Zusammenführen der entlegendsten Teile der Welt mache es möglich, sich gegenseitig zu helfen und gegenseitige den Bedarf an Nötigem und Annehmlichen im Austausch zu decken. Aber er sah, dass „das Übergewicht an Macht auf Seiten der Europäer so groß (war), dass sie sich jede Art Ungerechtigkeit in diesen fernen Gegenden erlauben konnten“. Er hoffte auf den Tag, an dem „die Bewohner aller Regionen der Welt den gleichen Mut und die gleiche Stärke erlangen, wodurch es zu einem Gleichgewicht in der Abschreckung kommt, dass allein die Ungerechtigkeit unabhängiger Nationen in eine Art Respekt von gegenseitigen Rechten umwandeln vermag.“ Er glaubte, dass der „gegenseitige Austausch von Wissen und technischen Kenntnissen aller Art, den ein umfassender Handel aller Länder untereinander ganz von selbst, ja fast zwangsläufig mit sich bringt“, den Prozess beschleunigen werde.

zitiert nach Jeffey D. Sachs, Das Ende der Armut, Seite 230, 231

 

 

 

Wir arbeiten mit an der Herausbildung eines globalen gemeinsamen Weltethos: Das ist die Vision eines globalen Bewusstseinswandels im Ethos: Menschen – ob weltweit, national oder lokal – sind für ein friedliches Zusammenleben auf gemeinsame elementare ethische Werte, Maßstäbe und Haltungen angewiesen. Solche Werte finden sich in allen großen religiösen und philosophischen Traditionen der Menschheit. Sie müssen nicht neu erfunden, wohl aber den Menschen neu bewusst gemacht, sie müssen gelebt und weitergegeben werden.

Dafür braucht es:
• Dialog der Religionen und Kulturen, besonders das Wissen um Gemeinsamkeiten im Ethos.
• Kulturübergreifende Werteerziehung. Schon Kinder müssen lernen, dass friedliches Zusammenleben auf allen Ebenen vom Einhalten elementarer Regeln abhängt. Keine Gesellschaft kann ohne ein verbindendes Wertefundament funktionieren.
• Ethische und interkulturelle Kompetenz in Wirtschaftsunternehmen. Akteure im internationalen Wettbewerb sind mehr denn je auf kulturübergreifende Normen angewiesen.
• In Recht und Ethos verankerte internationale Politik: statt militärischer Konfrontation, Kooperation, Integration.

Das Weltethos-Programm geht zurück auf den in Tübingen wirkenden Schweizer Theologen Prof. Hans Küng und sein Buch»Projekt Weltethos« (1990).
»Kein Friede zwischen den Nationen ohne Friede zwischen den Religionen« – dieser Satz bildet die Leitidee von Hans Küngs Arbeit.

Inspiriert vom »Projekt Weltethos« verabschiedete 1993 das Parlament der Weltreligionen in Chicago die »Erklärung zum Weltethos«. Erstmals in der neueren Geschichte der Religionen verständigen sich Repräsentanten aller Weltreligionen auf Kernelemente eines gemeinsamen Ethos:
• das Prinzip Menschlichkeit,
• die »Goldene Regel« der Gegenseitigkeit,
• die Verpflichtung auf Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und die Partnerschaft von Mann und Frau.

http://www.weltethos.org/

Deklaration des Parlaments der Weltreligionen
 
Die Weltethos-Erklärung

Die 16-seitige Broschüre mit dem Text der Weltethos-Erklärung kann
im Online-Shop auf Deutsch, Englisch und Französisch bestellt werden.
-›› Zum Online-Shop

A. Vorwort
Niemand dürfte heute noch ernsthaft bestreiten: Eine Weltepoche, die anders als jede frühere geprägt ist durch Weltpolitik, Welttechnologie, Weltwirtschaft und Weltzivilisation, bedarf eines Weltethos. Das heißt: eines Grundkonsenses bezüglich verbindender Werte, unverrückbarer Maßstäbe und persönlicher Grundhaltungen. Ohne einen Grundkonsens im Ethos droht jeder Gemeinschaft früher oder später das Chaos oder eine Diktatur. Keine bessere Weltordnung ohne ein Weltethos!

Ein Weltethos meint dabei weder eine Weltideologie noch eine einheitliche Weltreligion jenseits aller bestehenden Religionen noch eine Mischung aus allen Religionen. Die Menschheit ist der Einheitsideologien müde, und die Religionen der Welt sind in ihren Glaubensauffassungen und »Dogmen«, ihren Symbolen und Riten ohnehin so verschieden, daß eine »Vereinigung« sinnlos, ein synkretistischer Cocktail ungenießbar wäre.

Ein Weltethos will auch nicht die Hochethik der einzelnen Religionen durch einen ethischen Minimalismus ersetzen. Die Tora der Juden, die Bergpredigt der Christen, der Koran der Muslime, die Bhagavadgita der Hindus, die Reden des Buddha, die Sprüche des Konfuzius: Sie alle bleiben die Grundlage für Glauben und Leben, Denken und Handeln für Hunderte von Millionen von Menschen. Was dann?

Ein Weltethos will das, was den Religionen der Welt trotz aller Verschiedenheiten jetzt schon gemeinsam ist, herausarbeiten und zwar in bezug auf menschliches Verhalten, sittliche Werte und moralische Grundüberzeugungen. Anders gesagt: Das Weltethos reduziert die Religionen nicht auf einen ethischen Minimalismus, wohl aber stellt es das Minimum dessen heraus, was den Religionen der Welt schon jetzt im Ethos gemeinsam ist. Es ist gegen niemanden gerichtet, sondern lädt alle ein, Gläubige wie Nichtgläubige, sich dieses Ethos zu eigen zu machen und entsprechend zu handeln.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Religionen hat es der Council des Parlaments der Weltreligionen, das vom 28. August bis zum 4. September 1993 in Chicago unter Beteiligung von 6500 Menschen aus allen möglichen Religionen tagte, gewagt, eine Erklärung zu einem Weltethos ausarbeiten zu lassen und vorzulegen. Und wie nicht anders zu erwarten war, hat diese Erklärung denn auch während des Parlaments heftige Diskussionen ausgelöst. Aber das Erfreuliche ist: In einer Zeit, wo so viele Religionen in politische Konflikte, ja, blutige Kriege mitverwickelt sind, haben Repräsentanten höchst unterschiedlicher großer und kleiner Religionen diese Erklärung mit ihrer Unterschrift sich zu eigen gemacht, stellvertretend für ungezählte Gläubige auf dieser Erde.

Diese Erklärung bildet nun die Basis für einen umfangreichen Diskussions- und Akzeptanzprozeß, der in allen Religionen – so hoffen wir – ausgelöst werden wird. Denn selbstverständlich ist diese Erklärung zu einem Weltethos – ähnlich wie die erste Erklärung für die Menschenrechte 1776 im Zusammenhang der amerikanischen Revolution – nicht ein Endpunkt, sondern ein Anfangspunkt. Das war von vornherein klar und wurde am Ende des Parlaments dadurch noch einmal eigens zum Ausdruck gebracht, daß man diese Erklärung als eine »initial declaration toward a global ethic« bezeichnete. Damit ist die Hoffnung verbunden, daß dieses Dokument einen Prozeß auslösen möge, der das Verhalten der Menschen in den Religionen im Blick auf Verständigung, Respekt und Zusammenarbeit verändert. Und wenn alles gut geht, werden wir in nicht allzu ferner Zeit weitere Erklärungen haben, die das Weltethos der Religionen weiter präzisieren, konkretisieren und illustrieren, und vielleicht auch einmal eine Weltethos-Erklärung der Vereinten Nationen, welche deren Menschenrechtserklärung, die so oft ignoriert und grausam verletzt wird, moralisch vom Gewissen her abstützt.

Ist aber eine solche Erwartung nicht schier illusionär? Ist die Akzeptanz einer solchen Erklärung in den Religionen zu erwarten? Sind solche Hoffnungen realistisch? Den ewigen Skeptikern und Pessimisten halten wir entgegen: Niemand wird leugnen, daß es innerhalb von zwei bis drei Jahrzehnten möglich wurde, weltweit einen allgemeinen Bewußtseinswandel in bezug auf Ökonomie und Ökologie, in bezug auf Weltfrieden und Abrüstung sowie in bezug auf die Partnerschaft zwischen Mann und Frau einzuleiten. Unser Dokument hier wurde geschrieben und verabschiedet in der Hoffnung, daß sich ein ähnlicher Bewußtseinswandel abzeichnen möge in bezug auf ein der ganzen Menschheit gemeinsames Grundethos, ein Weltethos. Es ist an den Religionen dieser Erde, es ist an den Menschen überall ganz konkret vor Ort, daß diese Erklärung mehr bleibt als Papier, daß sie mit Leben erfüllt wird, daß sie die Menschen inspiriert zu einem Leben in gegenseitiger Achtung, Verständigung und Zusammenarbeit.
Gleichzeitig mit diesem Bändchen erscheint in derselben Serie unser Buch »Weltfrieden durch Religionsfrieden. Antworten aus den Weltreligionen«; es bietet entscheidende Hilfen zum Verständnis des Prozesses, der zur Weltethos-Erklärung geführt hat. Im nächsten Jahr soll, wiederum in dieser Serie, ein weiterer Band folgen; er wird Reaktionen und Kommentare zur Weltethos-Erklärung enthalten von Persönlichkeiten aus den verschiedenen Religionen, aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur.

Dieses Vorwort soll jedoch nicht abgeschlossen werden ohne ein herzliches Wort des Dankes an die Organisatoren des Parlaments der Weltreligionen in Chicago, besonders Dr. David Ramage, Vorsitzender des Board of Trustees, Dr. Daniel Gomez-Ibanez, Executive Director, und all die vielen selbstlosen, effizienten und liebenswürdigen Helfer und Helferinnen, die bei der Vorbereitung und Durchführung des Parlaments der Weltreligionen ein ungeheures Arbeitspensum auf bewundernswerte Weise bewältigt haben.
Chicago/Tübingen im September 1993
Hans Küng Karl-Josef Kuschel

B. Einführung

Der als »Einführung« bezeichnete Text wurde auf der Grundlage der in Tübingen verfaßten Erklärung von einem Redaktionskomitee des »Council« des Parlaments der Weltreligionen in Chicago erstellt. Er wollte – zu publizistischen Zwecken – eine knappe Zusammenfassung der Erklärung bieten. Zugleich sollte er der öffentlichen Verlesung dienen. So wurde dieser Text denn auch bei der feierlichen öffentlichen Abschlußversammlung am 4. September 1993 im Grant Park von Chicago vor Tausenden von Zuhörern öffentlich verlesen, wobei mehrere Passagen von spontanem Beifall begleitet wurden.

Der eigentliche Text der Erklärung beginnt mit:
»C. Die Prinzipien eines Weltethos«

Die Welt liegt in Agonie. Diese Agonie ist so durchdringend und bedrängend, daß wir uns herausgefordert fühlen, ihre Erscheinungsformen zu benennen, so daß die Tiefe unserer Besorgnis deutlich werden mag.
Der Friede entzieht sich uns – der Planet wird zerstört – Nachbarn leben in Angst – Frauen und Männer sind entfremdet voneinander – Kinder sterben!
Das ist abscheulich!

Wir verurteilen den Mißbrauch der Ökosysteme unserer Erde.

Wir verurteilen die Armut, die Lebenschancen erstickt; den Hunger, der den menschlichen Körper schwächt; die wirtschaftlichen Ungleichheiten, die so viele Familien mit Ruin bedrohen.

Wir verurteilen die soziale Unordnung der Nationen; die Mißachtung der Gerechtigkeit, welche Bürger an den Rand drängt; die Anarchie, welche in unseren Gemeinden Platz greift; und den sinnlosen Tod von Kindern durch Gewalt. Insbesondere verurteilen wir Aggression und Haß im Namen der Religion.

Diese Agonie muß nicht sein.
Sie muß nicht sein, weil die Grundlage für ein Ethos bereits existiert. Dieses Ethos bietet die Möglichkeit zu einer besseren individuellen und globalen Ordnung und führt die Menschen weg von Verzweiflung und die Gesellschaften weg vom Chaos.

Wir sind Frauen und Männer, welche sich zu den Geboten und Praktiken der Religionen der Welt bekennen:

Wir bekräftigen, daß sich in den Lehren der Religionen ein gemeinsamer Bestand von Kernwerten findet und daß diese die Grundlage für ein Weltethos bilden.

Wir bekräftigen, daß diese Wahrheit bereits bekannt ist, aber noch mit Herz und Tat gelebt werden muß.

Wir bekräftigen, daß es eine unwiderrufbare, unbedingte Norm für alle Bereiche des Lebens gibt, für Familien und Gemeinden, für Rassen, Nationen und Religionen. Es gibt bereits uralte Richtlinien für menschliches Verhalten, die in den Lehren der Religionen der Welt gefunden werden können und welche die Bedingung für eine dauerhafte Weltordnung sind.

Wir erklären:
Wir sind alle voneinander abhängig. Jeder von uns hängt vom Wohlergehen des Ganzen ab. Deshalb haben wir Achtung vor der Gemeinschaft der Lebewesen, der Menschen, Tiere und Pflanzen, und haben Sorge für die Erhaltung der Erde, der Luft, des Wassers und des Bodens.

Wir tragen die individuelle Verantwortung für alles, was wir tun. All unsere Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen haben Konsequenzen.

Wir müssen andere behandeln, wie wir von anderen behandelt werden wollen. Wir verpflichten uns, Leben und Würde, Individualität und Verschiedenheit zu achten, so daß jede Person menschlich behandelt wird – und zwar ohne Ausnahme. Wir müssen Geduld und Akzeptanz üben.

Wir müssen fähig sein zu vergeben, indem wir von der Vergangenheit lernen, aber es niemals zulassen, daß wir selber Gefangene der Erinnerungen des Hasses bleiben. Indem wir unsere Herzen einander öffnen, müssen wir unsere engstirnigen Streitigkeiten um der Sache der Weltgemeinschaft willen begraben und so eine Kultur der Solidarität und gegenseitigen Verbundenheit praktizieren.

Wir betrachten die Menschheit als unsere Familie. Wir müssen danach streben, freundlich und großzügig zu sein. Wir dürfen nicht allein für uns selber leben, müssen vielmehr auch anderen dienen und niemals die Kinder, die Alten, die Armen, die Leidenden, die Behinderten, die Flüchtlinge und die Einsamen vergessen. Niemand soll jemals als Bürger zweiter Klasse betrachtet oder behandelt oder, in welcher Weise auch immer, ausgebeutet werden. Es sollte eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Mann und Frau geben. Wir dürfen keinerlei sexuelle Unmoral begehen. Wir müssen alle Formen der Herrschaft oder des Mißbrauchs hinter uns lassen.

Wir verpflichten uns auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit, des Respekts, der Gerechtigkeit und des Friedens. Wir werden keine anderen Menschen unterdrücken, schädigen, foltern, gar töten und auf Gewalt als Mittel zum Austrag von Differenzen verzichten.

Wir müssen nach einer gerechten sozialen und ökonomischen Ordnung streben, in der jeder die gleiche Chance erhält, seine vollen Möglichkeiten als Mensch auszuschöpfen. Wir müssen in Wahrhaftigkeit sprechen und handeln sowie mit Mitgefühl, indem wir mit allen in fairer Weise umgehen und Vorurteile und Haß vermeiden. Wir dürfen nicht stehlen. Wir müssen vielmehr die Herrschaft der Sucht nach Macht, Prestige, Geld und Konsum überwinden, um eine gerechte und friedvolle Welt zu schaffen.

Die Erde kann nicht zum besseren verändert werden, wenn sich nicht das Bewußtsein der Einzelnen zuerst ändert. Wir versprechen, unsere Wahrnehmungsfähigkeit zu erweitern, indem wir unseren Geist disziplinieren durch Meditation, Gebet oder positives Denken. Ohne Risiko und ohne Opferbereitschaft kann es keine grundlegende Veränderung in unserer Situation geben. Deshalb verpflichten wir uns auf dieses Weltethos, auf Verständnis füreinander und auf sozialverträgliche, friedensfördernde und naturfreundliche Lebensformen.

Wir laden alle Menschen, ob religiös oder nicht, dazu ein, dasselbe zu tun.

C. Die Prinzipien eines Weltethos

Unsere Welt geht durch eine fundamentale Krise: eine Krise der Weltwirtschaft, der Weltökologie, der Weltpolitik. Überall beklagt man die Abwesenheit einer großen Vision, den erschreckenden Stau ungelöster Probleme, die politische Lähmung, nur mittelmäßige politische Führung ohne viel Einsicht und Voraussicht und allgemein zu wenig Sinn für das Gemeinwohl. Zu viele alte Antworten auf neue Herausforderungen.
Hunderte Millionen von Menschen auf unserem Planeten leiden zunehmend unter Arbeitslosigkeit, Armut, Hunger und Zerstörung der Familien. Die Hoffnung auf dauerhaften Frieden unter den Völkern schwindet wieder. Spannungen zwischen den Geschlechtern und Generationen haben ein beängstigendes Ausmaß erreicht. Kinder sterben, töten und werden getötet. Immer mehr Staaten werden durch Korruptionsaffären in Politik und Wirtschaft erschüttert. Das friedliche Zusammenleben in unseren Städten wird immer schwieriger durch soziale, rassische und ethnische Konflikte, durch Drogenmißbrauch, organisiertes Verbrechen, ja Anarchie. Selbst Nachbarn leben oft in Angst. Unser Planet wird nach wie vor rücksichtslos ausgeplündert. Ein Zusammenbruch der Ökosysteme droht.
Immer wieder neu beobachten wir, wie an nicht wenigen Orten dieser Welt Führer und Anhänger von Religionen Aggression, Fanatismus, Haß und Fremdenfeindlichkeit schüren, ja sogar gewaltsame und blutige Auseinandersetzungen inspirieren und legitimieren. Religion wird oft für rein machtpolitische Zwecke bis hin zum Krieg mißbraucht. Das erfüllt uns mit Abscheu.

Wir verurteilen all diese Entwicklungen und erklären, daß dies nicht sein muß. Es existiert bereits ein Ethos, das diesen verhängnisvollen globalen Entwicklungen entgegenzusteuern vermag. Dieses Ethos bietet zwar keine direkten Lösungen für all die immensen Weltprobleme, wohl aber die moralische Grundlage für eine bessere individuelle und globale Ordnung: eine Vision, welche Frauen und Männer von der Verzweiflung und der Gewaltbereitschaft und die Gesellschaften weg vom Chaos zu führen vermag.

Wir sind Männer und Frauen, welche sich zu den Geboten und Praktiken der Religionen der Welt bekennen. Wir bekräftigen, daß es bereits einen Konsens unter den Religionen gibt, der die Grundlage für ein Weltethos bilden kann: einen minimalen Grundkonsens bezüglich verbindender Werte, unverrückbarer Maßstäbe und moralischer Grundhaltungen.

I. Keine neue Weltordnung ohne eine Weltethos
Wir, Männer und Frauen aus verschiedenen Religionen und Regionen dieser Erde, wenden uns deshalb an alle Menschen, religiöse und nichtreligiöse. Wir wollen unserer gemeinsamen Überzeugung Ausdruck verleihen:
• Wir alle haben eine Verantwortung für eine bessere Weltordnung.
• Unser Einsatz für die Menschenrechte, für Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Erde ist unbedingt geboten.
• Unsere sehr verschiedenen religiösen und kulturellen Traditionen dürfen uns nicht hindern, uns gemeinsam aktiv einzusetzen gegen alle Formen der Unmenschlichkeit und für mehr Menschlichkeit.
• Die in dieser Erklärung ausgesprochenen Prinzipien können von allen Menschen mit ethischen Überzeugungen, religiös begründet oder nicht, mitgetragen werden.
• Wir aber als religiöse und spirituell orientierte Menschen, die ihr Leben auf eine Letzte Wirklichkeit gründen und aus ihr in Vertrauen, in Gebet oder Meditation, in Wort oder Schweigen spirituelle Kraft und Hoffnung schöpfen, haben eine ganz besondere Verpflichtung für das Wohl der gesamten Menschheit und die Sorge um den Planeten Erde. Wir halten uns nicht für besser als andere Menschen, aber wir vertrauen darauf, daß uns die uralte Weisheit unserer Religionen Wege auch für die Zukunft zu weisen vermag.
Nach zwei Weltkriegen und dem Ende des kalten Krieges, nach dem Zusammenbruch von Faschismus und Nazismus und der Erschütterung von Kommunismus und Kolonialismus ist die Menschheit in eine neue Phase ihrer Geschichte eingetreten. Die Menschheit besäße heute genügend ökonomische, kulturelle und geistige Ressourcen, um eine bessere Weltordnung heraufzuführen. Doch alte und neue ethnische, nationale, soziale, wirtschaftliche und religiöse Spannungen bedrohen den friedlichen Aufbau einer besseren Welt. Unsere Zeit erlebte zwar größere wissenschaftliche und technische Fortschritte denn je. Und doch stehen wir vor der Tatsache, daß weltweit Armut, Hunger, Kindersterben, Arbeitslosigkeit, Verelendung und Naturzerstörung nicht geringer geworden sind, ja zugenommen haben. Vielen Völkern droht der wirtschaftliche Ruin, die soziale Demontage, die politische Marginalisierung, die ökologische Katastrophe, der nationale Zusammenbruch.

In einer solch dramatischen Weltlage braucht die Menschheit nicht nur politische Programme und Aktionen. Sie bedarf einer Vision des friedlichen Zusammenlebens der Völker, der ethnischen und ethischen Gruppierungen und der Religionen in gemeinsamer Verantwortung für unseren Planeten Erde. Eine Vision beruht auf Hoffnungen, auf Zielen, Idealen, Maßstäben. Diese aber sind vielen Menschen überall auf der Welt abhanden gekommen. Und doch sind wir davon überzeugt: Gerade die Religionen tragen trotz ihres Mißbrauchs und häufigen historischen Versagens die Verantwortung dafür, daß solche Hoffnungen, Ziele, Ideale und Maßstäbe wachgehalten, begründet und gelebt werden können. Das gilt insbesondere für moderne Staatswesen: Garantien für Gewissens- und Religionsfreiheit sind notwendig, aber sie ersetzen nicht verbindende Werte, Überzeugungen und Normen, die für alle Menschen gelten, gleich welcher sozialen Herkunft, welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, Sprache oder Religion.

Wir sind überzeugt von der fundamentalen Einheit der menschlichen Familie auf unserem Planeten Erde. Wir rufen deshalb die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von 1948 in Erinnerung. Was sie auf der Ebene des Rechts feierlich proklamierte, das wollen wir hier vom Ethos her bestätigen und vertiefen: die volle Realisierung der Unverfügbarkeit der menschlichen Person, der unveräußerlichen Freiheit, der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen und der notwendigen Solidarität und gegenseitigen Abhängigkeit aller Menschen voneinander.

Aufgrund von persönlichen Lebenserfahrungen und der notvollen Geschichte unseres Planeten haben wir gelernt,
• daß mit Gesetzen, Verordnungen und Konventionen allein eine bessere Weltordnung nicht geschaffen oder gar erzwungen werden kann;
• daß die Verwirklichung von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Erde abhängt von der Einsicht und Bereitschaft der Menschen, dem Recht Geltung zu verschaffen;
• daß der Einsatz für Recht und Freiheit ein Bewußtsein für Verantwortung und Pflichten voraussetzt und deshalb Kopf und Herz der Menschen angesprochen werden müssen;
• daß das Recht ohne Sittlichkeit auf Dauer keinen Bestand hat und daß es deshalb keine neue Weltordnung geben wird ohne ein Weltethos.

Mit Weltethos meinen wir keine neue Weltideologie, auch keine einheitliche Weltreligion jenseits aller bestehenden Religionen, erst recht nicht die Herrschaft einer Religion über alle anderen. Mit Weltethos meinen wir einen Grundkonsens bezüglich bestehender verbindender Werte, unverrückbarer Maßstäbe und persönlicher Grundhaltungen. Ohne einen Grundkonsens im Ethos droht jeder Gemeinschaft früher oder später das Chaos oder eine Diktatur, und einzelne Menschen werden verzweifeln.

II. Grundforderung:
Jeder Mensch muß menschlich behandelt werden
Wir sind allesamt fehlbare, unvollkommene Menschen mit Grenzen und Mängeln. Wir wissen um die Wirklichkeit des Bösen. Gerade deshalb aber fühlen wir uns um des Wohles der Menschheit willen verpflichtet, das auszusprechen, was Grundelemente eines gemeinsamen Ethos für die Menschheit sein sollten – für die einzelnen ebenso wie für die Gemeinschaften und Organisationen, für die Staaten ebenso wie für die Religionen selbst. Denn wir vertrauen darauf: Unsere oft schon jahrtausendealten religiösen und ethischen Traditionen enthalten genügend Elemente eines Ethos, die für alle Menschen guten Willens, religiöse und nicht religiöse, einsichtig und lebbar sind.

Dabei ist uns bewußt: Unsere verschiedenen religiösen und ethischen Traditionen begründen in oft sehr verschiedener Weise, was dem Menschen nützt oder schadet, was recht oder was unrecht, was gut oder was böse ist. Die tiefgreifenden Unterschiede zwischen den einzelnen Religionen wollen wir nicht verwischen oder ignorieren. Aber sie sollen uns nicht hindern, öffentlich zu proklamieren, was uns bereits jetzt gemeinsam ist und wozu wir uns aufgrund unserer je eigenen religiösen oder ethischen Grundlagen schon jetzt gemeinsam verpflichtet fühlen.

Uns ist bewußt: Religionen können die ökologischen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Probleme dieser Erde nicht lösen. Wohl aber können sie das erreichen, was allein mit ökonomischen Plänen, politischen Programmen oder juristischen Regelungen offensichtlich nicht erreichbar ist: die innere Einstellung, die ganze Mentalität, eben das »Herz« des Menschen zu verändern und ihn zu einer »Umkehr« von einem falschen Weg zu einer neuen Lebenseinstellung zu bewegen. Die Menschheit bedarf der sozialen und ökologischen Reformen, gewiß, aber nicht weniger bedarf sie der spirituellen Erneuerung. Wir als religiös oder spirituell orientierte Menschen wollen uns besonders dazu verpflichten – im Bewußtsein, daß es gerade die spirituellen Kräfte der Religionen sein können, die Menschen für ihr Leben ein Grundvertrauen, einen Sinnhorizont, letzte Maßstäbe und eine geistige Heimat vermitteln. Dies freilich können Religionen nur dann glaubwürdig tun, wenn sie selbst jene Konflikte beseitigen, deren Quelle sie selber sind, wenn sie wechselseitig Überheblichkeit, Mißtrauen, Vorurteile, ja Feindbilder abbauen und den Traditionen, Heiligtümern, Festen und Riten der jeweils Andersgläubigen Respekt entgegenbringen.

Wir alle wissen: Nach wie vor werden überall auf der Welt Menschen unmenschlich behandelt. Sie werden ihrer Lebenschancen und ihrer Freiheit beraubt, ihre Menschenrechte werden mit Füßen getreten, ihre menschliche Würde wird mißachtet. Aber Macht ist nicht gleich Recht! Angesichts aller Unmenschlichkeit fordern unsere religiösen und ethischen Überzeugungen: Jeder Mensch muß menschlich behandelt werden!

Das heißt: Jeder Mensch – ohne Unterschied von Alter, Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, körperlicher oder geistiger Fähigkeit, Sprache, Religion, politischer Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft – besitzt eine unveräußerliche und unantastbare Würde. Alle, der Einzelne wie der Staat, sind deshalb verpflichtet, diese Würde zu achten und ihnen wirksamen Schutz zu garantieren. Auch in Wirtschaft, Politik und Medien, in Forschungsinstituten und Industrieunternehmungen soll der Mensch immer Rechtssubjekt und Ziel sein, nie bloßes Mittel, nie Objekt der Kommerzialisierung und der Industrialisierung. Niemand steht »jenseits von Gut und Böse«: kein Mensch und keine soziale Schicht, keine einflußreiche Interessengruppe und kein Machtkartell, kein Polizeiapparat, keine Armee und auch kein Staat. Im Gegenteil: Als ein mit Vernunft und Gewissen ausgestattetes Wesen ist jeder Mensch dazu verpflichtet, sich wahrhaft menschlich und nicht unmenschlich zu verhalten, Gutes zu tun und Böses zu lassen!

Was dies konkret heißt, will unsere Erklärung verdeutlichen. Wir wollen im Blick auf eine neue Weltordnung unverrückbare, unbedingte ethische Normen in Erinnerung rufen. Sie sollen für den Menschen nicht Fesseln und Ketten sein, sondern Hilfen und Stützen, um Lebensrichtung und Lebenswerte, Lebenshaltungen und Lebenssinn immer wieder neu zu finden und zu verwirklichen.

Es gibt ein Prinzip, die Goldene Regel, die seit Jahrtausenden in vielen religiösen und ethischen Traditionen der Menschheit zu finden ist und sich bewährt hat: Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu. Oder positiv: Was du willst, das man dir tut, das tue auch den anderen! Dies sollte die unverrückbare, unbedingte Norm für alle Lebensbereiche sein, für Familie und Gemeinschaften, für Rassen, Nationen und Religionen.

Egoismen jeder Art – jede Selbstsucht, sie sei individuell oder kollektiv, sie trete auf in Form von Klassendenken, Rassismus, Nationalismus oder Sexismus – sind verwerflich. Wir verurteilen sie, weil sie den Menschen daran hindern, wahrhaft Mensch zu sein. Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung sind durchaus legitim – solange sie nicht von der Selbstverantwortung und Weltverantwortung des Menschen, von der Verantwortung für die Mitmenschen und den Planeten Erde losgelöst sind.
Dieses Prinzip schließt ganz konkrete Maßstäbe ein, an die wir Menschen uns halten sollen. Aus ihm ergeben sich vier umfassende uralte Richtlinien, die sich in den meisten Religionen dieser Welt finden.

III. Vier unverrückbare Weisungen

1. Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben
Ungezählte Menschen bemühen sich in allen Regionen und Religionen um ein Leben, das nicht von Egoismus bestimmt ist, sondern vom Einsatz für die Mitmenschen und die Mitwelt. Und doch gibt es in der Welt von heute unendlich viel Haß, Neid, Eifersucht und Gewalt: nicht nur zwischen den einzelnen Menschen, sondern auch zwischen sozialen und ethnischen Gruppen, zwischen Klassen und Rassen, Nationen und Religionen. Gewaltanwendung, der Drogenhandel und das organisierte Verbrechen, ausgestattet oft mit neuesten technischen Möglichkeiten, haben globale Ausmaße erreicht. Vielerorts wird noch mit Terror »von oben« regiert; Diktatoren vergewaltigen ihre eigenen Völker, und institutionelle Gewalt ist weit verbreitet. Selbst in manchen Ländern, wo es Gesetze zum Schutz individueller Freiheiten gibt, werden Gefangene gefoltert, Menschen verstümmelt, Geiseln getötet.

A. Aus den großen alten religiösen und ethischen Traditionen der Menschheit aber vernehmen wir die Weisung: Du sollst nicht töten! Oder positiv: Hab Ehrfurcht vor dem Leben! 

Besinnen wir uns also neu auf die Konsequenzen dieser uralten Weisung: Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. Kein Mensch hat das Recht, einen anderen Menschen physisch oder psychisch zu quälen, zu verletzen, gar zu töten. Und kein Volk, kein Staat, keine Rasse, keine Religion hat das Recht, eine andersartige oder andersgläubige Minderheit zu diskriminieren, zu »säubern«, zu exilieren, gar zu liquidieren.

B. Gewiß, wo es Menschen gibt, wird es Konflikte geben. Solche Konflikte aber sollten grundsätzlich ohne Gewalt im Rahmen einer Rechtsordnung gelöst werden. Das gilt für den Einzelnen wie für die Staaten. Gerade die politischen Machthaber sind aufgefordert, sich an die Rechtsordnung zu halten und sich für möglichst gewaltlose, friedliche Lösungen einzusetzen. Sie sollten sich engagieren für eine internationale Friedensordnung, die ihrerseits des Schutzes und der Verteidigung gegen Gewalttäter bedarf. Aufrüstung ist ein Irrweg, Abrüstung ein Gebot der Stunde. Niemand täusche sich: Es gibt kein Überleben der Menschheit ohne Weltfrieden!

C. Deshalb sollten schon junge Menschen in Familie und Schule lernen, daß Gewalt kein Mittel der Auseinandersetzung mit anderen sein darf. Nur so kann eine Kultur der Gewaltlosigkeit geschaffen werden.

D. Die menschliche Person ist unendlich kostbar und unbedingt zu schützen. Aber auch das Leben der Tiere und der Pflanzen, die mit uns diesen Planeten bewohnen, verdient Schutz, Schonung und Pflege. Hemmungslose Ausbeutung der natürlichen Lebensgrundlagen, rücksichtslose Zerstörung der Biosphäre, Militarisierung des Kosmos sind ein Frevel. Als Menschen haben wir – gerade auch im Blick auf künftige Generationen – eine besondere Verantwortung für den Planeten Erde und den Kosmos, für Luft, Wasser und Boden. Wir alle sind in diesem Kosmos miteinander verflochten und voneinander abhängig. Jeder von uns hängt ab vom Wohl des Ganzen. Deshalb gilt: Nicht die Herrschaft des Menschen über Natur und Kosmos ist zu propagieren, sondern die Gemeinschaft mit Natur und Kosmos zu kultivieren.

E. Wahrhaft Mensch sein heißt im Geist unserer großen religiösen und ethischen Traditionen, schonungsvoll und hilfsbereit zu sein, und zwar im privaten wie im öffentlichen Leben. Niemals sollten wir rücksichtslos und brutal sein. Jedes Volk soll dem anderen, jede Rasse soll der anderen, jede Religion soll der anderen Toleranz, Respekt, gar Hochschätzung entgegenbringen. Minderheiten – sie seien rassischer, ethnischer oder religiöser Art – bedürfen unseres Schutzes und unserer Förderung.

2. Verpflichtung auf eine Kultur der Solidarität und eine gerechte Wirtschaftsordnung
Ungezählte Menschen bemühen sich in allen Regionen und Religionen um Solidarität füreinander und um ein Leben in Arbeit und treuer Berufserfüllung. Und doch gibt es in der Welt von heute unendlich viel Hunger, Armut und Not. Schuld daran trägt nicht bloß der Einzelne. Schuld daran sind oft auch ungerechte gesellschaftliche Strukturen: Millionen von Menschen sind ohne Arbeit, Millionen werden durch schlecht bezahlte Arbeit ausgebeutet, an den Rand der Gesellschaft gedrängt und um ihre Lebenschancen gebracht. Ungeheuer sind in vielen Ländern die Unterschiede zwischen Armen und Reichen, zwischen Mächtigen und Ohnmächtigen. In einer Welt, in welcher sowohl ein ungezügelter Kapitalismus als auch ein totalitärer Staatssozialismus viele ethische und spirituelle Werte ausgehöhlt und zerstört hat, konnten sich Profitgier ohne Grenzen und Raffgier ohne Hemmungen ausbreiten, aber auch ein materialistisches Anspruchsdenken, welches ständig mehr vom Staat fordert, ohne sich selber zu mehr zu verpflichten. Nicht nur in den Entwicklungsländern, auch in den Industrieländern hat sich die Korruption zu einem Krebsübel der Gesellschaft entwickelt.

A. Aus den großen alten religiösen und ethischen Traditionen der Menschheit aber vernehmen wir die Weisung: Du sollst nicht stehlen! Oder positiv: Handle gerecht und fair! 

Besinnen wir uns also wieder neu auf die Konsequenzen dieser uralten Weisung: Kein Mensch hat das Recht, einen anderen Menschen – in welcher Form auch immer – zu bestehlen oder sich an dessen Eigentum oder am Gemeinschaftseigentum zu vergreifen. Umgekehrt aber hat auch kein Mensch das Recht, sein Eigentum ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Gesellschaft und der Erde zu gebrauchen.

B. Wo äußerste Armut herrscht, da machen sich Hilflosigkeit und Verzweiflung breit, da wird um des Überlebens willen auch immer wieder gestohlen werden. Wo Macht und Reichtum rücksichtslos angehäuft werden, da werden bei den Benachteiligten und Marginalisierten unvermeidlich Gefühle des Neides, des Ressentiments, ja, des tödlichen Hasses und der Rebellion geweckt. Dies aber führt zu einem Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt. Niemand täusche sich: Es gibt keinen Weltfrieden ohne Weltgerechtigkeit!

C. Deshalb sollten schon junge Menschen in Familie und Schule lernen, daß Eigentum, es sei noch so wenig, verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Nur so kann eine gerechte Wirtschaftsordnung aufgebaut werden.

D. Doch wenn sich die Lage der ärmsten Milliarde Menschen auf diesem Planeten, darunter besonders die der Frauen und Kinder, entscheidend verändern soll, so müssen die Strukturen der Weltwirtschaft gerechter gestaltet werden. Individuelle Wohltätigkeit und einzelne Hilfsprojekte, so unverzichtbar sie sind, reichen nicht aus. Es braucht die Partizipation aller Staaten und die Autorität der internationalen Organisationen, um zu einem gerechten Ausgleich zu kommen.
Die Schuldenkrise und die Armut der sich auflösenden Zweiten und erst recht der Dritten Welt müssen einer für alle Seiten tragbaren Lösung entgegengeführt werden. Gewiß: Interessenkonflikte sind auch künftig unvermeidlich. In den entwickelten Ländern ist jedenfalls zu unterscheiden zwischen einem notwendigen und einem hemmungslosen Konsum, zwischen einem sozialen und einem unsozialen Gebrauch des Eigentums, zwischen einer gerechtfertigten und einer ungerechtfertigten Nutzung der natürlichen Ressourcen, zwischen einer rein kapitalistischen und einer sozial wie ökologisch orientierten Marktwirtschaft. Auch die Entwicklungsländer bedürfen der nationalen Gewissenserforschung.
Überall gilt: Wo die Herrschenden die Beherrschten, die Institutionen die Personen, die Macht das Recht erdrücken, ist Widerstand – wo immer möglich gewaltlos – angebracht.

E. Wahrhaft menschlich sein heißt im Geist unserer großen religiösen und ethischen Traditionen das Folgende:
• Statt die wirtschaftliche und politische Macht in rücksichtslosem Kampf zur Herrschaft zu mißbrauchen, ist sie zum Dienst an den Menschen zu gebrauchen. Wir müssen einen Geist des Mitleids mit den Leidenden entwickeln und besondere Sorge tragen für die Armen, Behinderten, Alten, Flüchtlinge, Einsamen.
• Statt eines puren Machtdenkens und einer hemmungslosen Machtpolitik soll im unvermeidlichen Wettbewerb der gegenseitige Respekt, der vernünftige Interessenausgleich, der Wille zur Vermittlung und zur Rücksichtnahme herrschen.
• Statt einer unstillbaren Gier nach Geld, Prestige und Konsum ist wieder neu der Sinn für Maß und Bescheidenheit zu finden! Denn der Mensch der Gier verliert seine »Seele«, seine Freiheit, seine Gelassenheit, seinen inneren Frieden und somit das, was ihn zum Menschen macht.

3. Verpflichtung auf eine Kultur der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit
Ungezählte Menschen in allen Regionen und Religionen bemühen sich auch in unserer Zeit um ein Leben in Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Und doch gibt es in der Welt von heute unendlich viel Lug und Trug, Schwindel und Heuchelei, Ideologie und Demagogie:
• Politiker und Geschäftsleute, welche die Lüge als Mittel der Politik und des Erfolges benützen;
• Massenmedien, die statt wahrhaftiger Berichterstattung ideologische Propaganda, die statt Information Desinformation verbreiten, die statt der Wahrheitstreue ein zynisches Verkaufsinteresse verfolgen;
• Wissenschaftler und Forscher, die sich moralisch fragwürdigen ideologischen oder politischen Programmen oder auch wirtschaftlichen Interessengruppen ausliefern sowie Forschungen rechtfertigen, welche die sittlichen Grundwerte verletzen;
• Repräsentanten von Religionen, die Menschen anderer Religionen als minderwertig abqualifizieren und die Fanatismus und Intoleranz statt Respekt, Verständigung und Toleranz verkünden.

A. Aus den großen alten religiösen und ethischen Traditionen der Menschheit aber vernehmen wir die Weisung: Du sollst nicht lügen! Oder positiv: Rede und handle wahrhaftig! 

Besinnen wir uns also wieder neu auf die Konsequenzen dieser uralten Weisung: Kein Mensch und keine Institution, kein Staat und auch keine Kirche oder Religionsgemeinschaft haben das Recht, den Menschen die Unwahrheit zu sagen.

B. Dies gilt besonders:
• Für die Massenmedien, denen zu Recht die Freiheit der Berichterstattung zur Wahrheitsfindung garantiert ist und denen damit in jeder Gesellschaft ein Wächteramt zukommt: Sie stehen nicht über der Moral, sondern bleiben in Sachlichkeit und Fairneß der Menschenwürde, den Menschenrechten und den Grundwerten verpflichtet. Sie haben kein Recht auf Verletzung der Privatsphäre von Menschen, auf Verzerrung der Wirklichkeit und auf Manipulation der öffentlichen Meinung.
• Für Kunst, Literatur und Wissenschaft, denen zu Recht künstlerische und akademische Freiheit garantiert sind: Sie sind nicht entbunden von allgemeinen ethischen Maßstäben, sondern sollen der Wahrheit dienen.
• Für die Politiker und die politischen Parteien: Wenn sie ihr Volk ins Angesicht belügen, wenn sie sich der Manipulation von Wahrheit, der Bestechlichkeit oder einer rücksichtslosen Machtpolitik im Inneren wie im Äußeren schuldig machen, haben sie ihre Glaubwürdigkeit verspielt und verdienen den Verlust ihrer Ämter und ihrer Wähler. Umgekehrt sollte die öffentliche Meinung diejenigen Politiker unterstützen, die es wagen, dem Volk jederzeit die Wahrheit zu sagen.
• Für die Repräsentanten von Religionen schließlich: Wenn sie Vorurteile, Haß und Feindschaft gegenüber Andersgläubigen schüren, wenn sie Fanatismus predigen oder gar Glaubenskriege initiieren oder legitimieren, verdienen sie die Verurteilung der Menschen und den Verlust ihrer Gefolgschaft.
Niemand täusche sich: Es gibt keine Weltgerechtigkeit ohne Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit!

C. Deshalb sollten schon junge Menschen in Familie und Schule lernen, Wahrhaftigkeit in Denken, Reden und Tun einzuüben. Jeder Mensch hat ein Recht auf Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Er hat das Recht auf die notwendige Information und Bildung, um die für sein Leben grundlegenden Entscheidungen treffen zu können. Ohne eine ethische Grundorientierung freilich vermag er kaum das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Bei der heutigen täglichen Flut von Informationen sind ethische Maßstäbe eine Hilfe, wenn Tatsachen verdreht, Interessen verschleiert, Tendenzen hofiert und Meinungen verabsolutiert werden.

D. Wahrhaft Mensch sein heißt im Geist unserer großen religiösen und ethischen Traditionen das Folgende:
• Statt Freiheit mit Willkür und Pluralismus mit Beliebigkeit zu verwechseln, der Wahrheit Geltung zu verschaffen;
• statt in Unehrlichkeit, Verstellung und opportunistischer Anpassung zu leben, den Geist der Wahrhaftigkeit auch in den alltäglichen Beziehungen zwischen Mensch und Mensch zu pflegen;
• statt ideologische oder parteiische Halbwahrheiten zu verbreiten, in unbestechlicher Wahrhaftigkeit die Wahrheit immer neu zu suchen;
• statt einem Opportunismus zu huldigen, in Verläßlichkeit und Stetigkeit der einmal erkannten Wahrheit zu dienen.

4. Verpflichtung auf eine Kultur der Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau
Ungezählte Menschen bemühen sich in allen Regionen und Religionen um ein Leben im Geiste der Partnerschaft von Mann und Frau, um ein verantwortliches Handeln im Bereich von Liebe, Sexualität und Familie. Dennoch gibt es überall auf der Welt verdammenswerte Formen des Patriarchalismus, der Vorherrschaft des einen Geschlechtes über das andere, der Ausbeutung von Frauen, des sexuellen Mißbrauchs von Kindern sowie der erzwungenen Prostitution. Die sozialen Unterschiede auf dieser Erde führen nicht selten dazu, daß insbesondere Frauen und sogar Kinder aus den weniger entwickelten Ländern sich gezwungen sehen, Prostitution als Mittel des Überlebenskampfes einzusetzen.

A. Aus den großen alten religiösen und ethischen Traditionen der Menschheit aber vernehmen wir die Weisung: Du sollst nicht Unzucht treiben! Oder positiv: Achtet und liebet einander! 

Besinnen wir uns also wieder neu auf die Konsequenzen dieser uralten Weisung: Kein Mensch hat das Recht, einen anderen zum bloßen Objekt seiner Sexualität zu erniedrigen, ihn in sexuelle Abhängigkeit zu bringen oder zu halten.

B. Wir verurteilen sexuelle Ausbeutung und Geschlechterdiskriminierung als eine der schlimmsten Formen der Entwürdigung des Menschen. Wo immer – gar im Namen einer religiösen Überzeugung – die Herrschaft eines Geschlechts über das andere gepredigt und sexuelle Ausbeutung toleriert, wo immer Prostitution gefördert oder Kinder mißbraucht werden, da ist Widerstand geboten. Niemand täusche sich: Es gibt keine wahre Menschlichkeit ohne partnerschaftliches Zusammenleben!

C. Deshalb sollten schon junge Menschen in Familie und Schule lernen, daß Sexualität grundsätzlich keine negativ-zerstörende oder ausbeuterische, sondern eine schöpferisch-gestaltende Kraft ist. Sie hat die Funktion einer lebensbejahenden Gemeinschaftsbildung und kann sich nur entfalten, wenn sie in Verantwortung für das Glück auch des Partners gelebt wird.

D. Die Beziehung zwischen Mann und Frau sollte nicht durch Bevormundung oder Ausbeutung bestimmt sein, sondern durch Liebe, Partnerschaftlichkeit und Verläßlichkeit. Menschliche Erfüllung ist nicht mit sexueller Lust identisch. Sexualität soll Ausdruck und Bestätigung einer partnerschaftlich gelebten Liebesbeziehung sein.
Manche religiöse Traditionen kennen auch das Ideal des freiwilligen Verzichts auf die Entfaltung der Sexualität. Auch freiwilliger Verzicht kann Ausdruck von Identität und Sinnerfüllung sein.

E. Die gesellschaftliche Institution Ehe ist bei allen kulturellen und religiösen Verschiedenheiten durch Liebe, Treue und Dauerhaftigkeit gekennzeichnet. Sie will und soll Männern, Frauen und Kindern Geborgenheit und gegenseitige Unterstützung garantieren sowie ihre Rechte sichern. In allen Ländern und Kulturen soll auf ökonomische und gesellschaftliche Verhältnisse hingearbeitet werden, die eine menschenwürdige Existenz von Ehe und Familie und vor allem auch der alten Menschen ermöglichen. Kinder haben ein Recht auf Bildung. Weder sollen die Eltern die Kinder noch die Kinder die Eltern ausnützen; ihr Verhältnis soll vielmehr von gegenseitiger Achtung, Anerkennung und Fürsorge getragen sein.

F. Wahrhaft Mensch sein heißt im Geiste unserer großen religiösen und ethischen Traditionen das Folgende:
• statt patriarchaler Beherrschung oder Entwürdigung, die Ausdruck von Gewalt sind und oft Gegengewalt erzeugen, gegenseitige Achtung, Verständnis, Partnerschaftlichkeit;
• statt jeglicher Form von sexueller Besitzgier oder sexuellem Mißbrauch gegenseitige Rücksicht, Toleranz, Versöhnungsbereitschaft, Liebe.
• Auf der Ebene der Nationen und Religionen kann nur praktiziert werden, was auf der Ebene der persönlichen und familiären Beziehungen bereits gelebt wird.

IV. Wandel des Bewußtseins
Alle geschichtlichen Erfahrungen zeigen es: Unsere Erde kann nicht verändert werden, ohne daß ein Wandel des Bewußtseins beim Einzelnen und der Öffentlichkeit erreicht wird. Dies hat sich in Fragen wie Krieg und Frieden, Ökonomie oder Ökologie bereits gezeigt, wo in den letzten Jahrzehnten grundlegende Veränderungen erreicht wurden. Diese muß auch im Hinblick auf das Ethos erreicht werden! Jeder Einzelne hat nicht nur eine unverletzliche Würde und unveräußerliche Rechte; er hat auch eine unabweisbare Verantwortung für das, was er tut und nicht tut. Alle unsere Entscheidungen und Taten, auch unser Versagen und Scheitern haben Konsequenzen.

Diese Verantwortung wachzuhalten, zu vertiefen und an künftige Generationen weiterzugeben ist die besondere Aufgabe der Religionen. Dabei bleiben wir realistisch in bezug auf das in diesem Konsens Erreichte und dringen darauf, das Folgende zu beachten:

1. Ein universaler Konsens für viele umstrittene ethische Einzelfragen (von der Bio- und Sexualethik über die Medien- und Wissenschaftsethik bis zur Wirtschafts- und Staatsethik) ist schwierig. Doch im Geist der hier entwickelten gemeinsamen Grundsätze sollten sich auch für viele bisher umstrittene Fragen sachgerechte Lösungen finden lassen.
2. In vielen Lebensbereichen ist bereits ein neues Bewußtsein für ethische Verantwortung erwacht. Wir begrüßen es deshalb, wenn für möglichst viele Berufsklassen wie zum Beispiel Ärzte, Wissenschaftler, Geschäftsleute, Journalisten, Politiker zeitgemäße Ethikcodes ausgearbeitet werden, die konkretere Richtlinien bieten für die brisanten Fragen ihres jeweiligen Berufsstandes.
3. Vor allem drängen wir die einzelnen Glaubensgemeinschaften, ihr ganz spezifisches Ethos zu formulieren: Was hat jede Glaubenstradition zu sagen etwa über den Sinn von Leben und Sterben, über das Durchstehen von Leid und die Vergebung von Schuld, über die selbstlose Hingabe und die Notwendigkeit von Verzicht, über Mitleid und Freude. Dies alles wird das schon jetzt erkennbare Weltethos vertiefen, spezifizieren und konkretisieren.

Zum Schluß appellieren wir an alle Bewohner dieses Planeten: Unsere Erde kann nicht zum Besseren verändert werden, ohne daß das Bewußtsein des Einzelnen geändert wird. Wir plädieren für einen individuellen und kollektiven Bewußtseinswandel, für ein Erwecken unserer spirituellen Kräfte durch Reflexion, Meditation, Gebet und positives Denken, für eine Umkehr der Herzen. Gemeinsam können wir Berge versetzen! Ohne Risiko und Opferbereitschaft gibt es keine grundlegende Veränderung unserer Situation! Deshalb verpflichten wir uns auf ein gemeinsames Weltethos: auf ein besseres gegenseitiges Verstehen sowie auf sozialverträgliche, friedensfördernde und naturfreundliche Lebensformen.
Wir laden alle Menschen, ob religiös oder nicht, ein, dasselbe zu tun!

Es unterschrieben:

Bahai
Juana Conrad, Jacqueline Delahunt, Dr. Wilma Ellis, Charles Nolley, R. Leilani Smith, Yael Wurmfeld.

Brahma Kumaris
B. K. Jagdish Chander Hassija, B. K. Dadi Prakashmani.

Buddhismus
Rev. Koshin Ogui, Sensei. Mahayana: Rev. Chung Ok Lee. Theravada: Dr. A. T. Ariyaratne, Preah Maha Ghosananda, Ajahn Phra Maha Surasak Jivanando, Dr. Chatsumarn Kabilsingh, Luang Poh Panyananda, Ven. Achahn Dr. Chuen Phangcham, Ven. Dr. Havanpola Ratanasara, Ven. Dr. Mapalagama Wipulasara Maha Thero. Vajrayana: S. H. Der XIV. Dalai Lama. Zen: Prof. Masao Abe, Zen Master Seung Sahn, Rev. Samu Sunim.

Christentum
Blouke Carus, Dr. Yvonne Delk. Anglikanisch: Rev. Marcus Braybrooke, James Parks Morton. Orthodox: Maria Svolos Gebhard. Protestantisch: Dr. Thelma Adair, Martti Ahtisaari, Rev. Wesley Ariarajah, Dr. Gerald O. Barney, Dr. Nelvia M. Brady, Dr. David Breed, Rev. John Buchanan, Bischof R. Sheldon Duecker, Prof. Diana L. Eck, Dr. Leon D. Finney, Jr., Dr. James A. Forbes, Jr., Bischof Frederick C. James, Erzbischof Mikko Juva, Prof. James Nelson, Dr. David Ramage, Jr., Robert Reneker, Rev. Dr. Syngman Rhee, Rev. Margaret Orr Thomas, Prof. Carl Friedrich v. Weizsäcker, Prof. Henry Wilson, Rev. Addie Wyatt. Römisch-katholisch: Rev. Thomas A. Baima, Kardinal Joseph Bernardin, Pere Pierre- Francois de Bethune, Schwester Joan M. Chatfield MM, Rev. Theodore M. Hesburgh CSC, Abbot Timothy Kelly OSB, Jim Kenney, Prof. Hans Küng, Dolores Leakey, Schwester Joan Monica McGuire OP, Rev. Maximilian Mizzi, Dr. Robert Muller, Rev. Albert Nambiaparambil, Bischof Placido Rodriguez, Bischof Willy Romelus, Dorothy Savage, Bruder David Steindl-Rast OSB, Bruder Wayne Teasdale.

Eingeborenen-Religionen
H. I. G. Bambi Baaba. Akuapim: Nana Apeadu. Yoruba: S. K. H. Oseijeman Adefunmi I, Baba Metahochi Kofi Zannu. Amerikanische Eingeborene: Archie Mosay, Burton Pretty On Top, Peter V. Catches.

Hinduismus
Dr. M. Aram, Jayashree Athavale-Talwarkar, S. H. Swami Chidananda Saraswati, Swami Chidananda Saraswati Muniji, Swami Dayananda Saraswati, Sadguru Sant Keshavadas, P. V. Krishnayya, Dr. Lakshmi Kumari, Amrish Mahajan, Dr. Krishna Reddy, Prof. V. Madhusudan Reddy, Swami Satchidananda, S. H. Satguru Sivaya Subramuniyaswami, S. H. Dr. Bala Siva Yogindra Maharaj. Vedanta: Pravrajika Amalaprana, Pravrajika Prabuddhaprana, Pravrajika Vivekaprana.

Jainismus
Dr. Rashmikant Gardi. Digambar: Narendra P. Jain. Shwetambar: S. H. Shri Atmanandji, Dipchand S. Gardi, S. E. Dr. L. M. Singhvi, S. H. Acharya Sushil Kumarji Maharaj.

Judentum
Helen Spector. Konservativ: Prof. Susannah Heschel. Reformerisch: Rabbi Herbert Bronstein, Norma U. Levitt, Rabbi Herman Schaalman, Dr. Howard A. Sulkin. Orthodox: Prof. Ephraim Isaac.

Islam
Tan Sri Dato Seri Ahmad Sarji bin Abdul-Hamid, Dr. Qazi Ashfaq Ahmed, Hamid Ahmed, Mazhar Ahmed, Hon. Louis Farrakhan, Dr. Hamid Abdul Hai, Mohammed A. Hai, Dr. Mohammad Hamidullah, Dr. Aziza al-Hibri, Dr. Asad Husain, Dato Dr. Haji Ismail bin Ibrahim, Dr. Irfan Ahmat Khan, Qadir H. Khan, Dr. Abdel Rahman Osman. Schiitisch: Prof. Seyyed Hossein Nasr. Sunnitisch: Imam Dawud Assad, Imam Warith Deen Mohammed, Hon. Syed Shahabuddin.

Neu-Heiden
Rev. Baroness Cara-Marguerite-Drusilla, Rev. Deborah Ann Light, Lady Olivia Robertson.

Sikhs
Siri Singh Sahib Bhai Sahib Harbhajan Singh Khalsa Yogiji, Bhai Mohinder Singh, Dr. Mehervan Singh, Hardial Singh, Indarjit Singh, Singh Sahib Jathedar Manjit Singh, Dr. Balwant Singh Hansra.

Taoisten
Chungliang Al Huang.

Theosophen
Radha Burnier.

Zoroastrier
Dastoor Dr. Kersey Antia, Dr. Homi Dhalla, Dastoor Dr. Kaikhusroo Minocher JamaspAsa, Dastoor Jehangir Oshidari, Rohinton Rivetna, Homi Taleyarkhan, Dastoor Kobad Zarolia, Dastoor Mehraban Zarthosty.

Interreligiöse Organisationen
Karl Berolzheimer, Dr. Daniel Gomez-Ibanez, Ma Jaya Bhagavati, Peter Laurence, Dr. Karan Singh, John B. Taylor, Rev. Robert Traer, Dr. William F. Vendley

http://www.weltethos.org/data-ge/c-10-stiftung/13-deklaration.php

Die Emanzipation der Gesellschaft und des Individuums müssen Hand in Hand gehen! Die Gemeinschaft mündiger Menschen ist das Ziel und die Basis der Welt, die wir anstreben und unserer Allianz „Freunde der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“

BEANTWORTUNG DER FRAGE: WAS IST AUFKLÄRUNG ?

Berlinische Monatsschrift. Dezember-Heft 1784. S. 481-494

AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten UnmündigkeitUnmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen [A482] (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Daß der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte, dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen, allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab.

Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit [A483] herauszuarbeiten. Er hat sie sogar liebgewonnen und ist vorderhand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit. Wer sie auch abwürfe, würde dennoch auch über den schmalesten Graben einen nur unsicheren Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt ist. Daher gibt es nur wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit herauszuwickeln und dennoch einen sicheren Gang zu tun.

Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich. Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende, sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken, um sich verbreiten werden. Besonders ist hiebei: daß das Publikum, welches zuvor von ihnen unter dieses Joch gebracht worden, sie hernach selbst zwingt, darunter zu bleiben, wenn es von einigen seiner Vormünder, die selbst aller Aufklärung unfähig sind, dazu aufgewiegelt [A484] worden; so schädlich ist es, Vorurteile zu pflanzen, weil sie sich zuletzt an denen selbst rächen, die oder deren Vorgänger ihre Urheber gewesen sind. Daher kann ein Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen. Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotism und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen; sondern neue Vorurteile werden, ebensowohl als die alten, zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen.

Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. Nun höre ich aber von allen Seiten rufen: Räsonniert nicht! Der Offizier sagt: Räsonniert nicht, sondern exerziert! Der Finanzrat: Räsonniert nicht, sondern bezahlt! Der Geistliche: Räsonniert nicht, sondern glaubt! (Nur ein einziger Herr in der Welt sagt: Räsonniert, soviel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber gehorcht!) Hier ist überall Einschränkung der Freiheit. Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung hinderlich, welche nicht, sondern ihr wohl gar beförderlich? – Ich antworte: Der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muß jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zustande [A485] bringen; derPrivatgebrauch derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern. Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht. Den Privatgebrauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten oder Amte von seiner Vernunft machen darf. Nun ist zu manchen Geschäften, die in das Interesse des gemeinen Wesens laufen, ein gewisser Mechanism notwendig, vermittelst dessen einige Glieder des gemeinen Wesens sich bloß passiv verhalten müssen, um durch eine künstliche Einhelligkeit von der Regierung zu öffentlichen Zwecken gerichtet oder wenigstens von der Zerstörung dieser Zwecke abgehalten zu werden. Hier ist es nun freilich nicht erlaubt zu räsonnieren; sondern man muß gehorchen. Sofern sich aber dieser Teil der Maschine zugleich als Glied eines ganzen gemeinen Wesens, ja sogar der Weltbürgergesellschaft ansieht, mithin in der Qualität eines Gelehrten, der sich an ein Publikum im eigentlichen Verstande durch Schriften wendet, kann er allerdings räsonnieren, ohne daß dadurch die Geschäfte leiden, zu denen er zum Teile als passives Glied angesetzt ist. So würde es sehr verderblich sein, wenn ein Offizier, dem von seinen Oberen etwas anbefohlen wird, im Dienste [A486] über die Zweckmäßigkeit oder Nützlichkeit dieses Befehls laut vernünfteln wollte; er muß gehorchen. Es kann ihm aber billigermaßen nicht verwehrt werden, als Gelehrter über die Fehler im Kriegesdienste Anmerkungen zu machen und diese seinem Publikum zur Beurteilung vorzulegen. Der Bürger kann sich nicht weigern, die ihm auferlegten Abgaben zu leisten; sogar kann ein vorwitziger Tadel solcher Auflagen, wenn sie von ihm geleistet werden sollen, als ein Skandal, (das allgemeine Widersetzlichkeiten veranlassen könnte), bestraft werden. Ebenderselbe handelt demohngeachtet der Pflicht eines Bürgers nicht entgegen, wenn er als Gelehrter wider die Unschicklichkeit oder auch Ungerechtigkeit solcher Ausschreibungen öffentlich seine Gedanken äußert. Ebenso ist ein Geistlicher verbunden, seinen Katechismusschülern und seiner Gemeine nach dem Symbol der Kirche, der er dient, seinen Vortrag zu tun, denn er ist auf diese Bedingung angenommen worden. Aber als Gelehrter hat er volle Freiheit, ja sogar den Beruf dazu, alle seine sorgfältig geprüften und wohlmeinenden Gedanken über das Fehlerhafte in jenem Symbol und Vorschläge wegen besserer Einrichtung des Religions- und Kirchenwesens dem Publikum mitzuteilen. Es ist hiebei auch nichts, was dem Gewissen zur Last gelegt werden könnte. Denn was er zufolge seines Amts als Geschäftträger der Kirche lehrt, das stellt er als etwas vor, in Ansehung [A487] dessen er nicht freie Gewalt hat, nach eigenem Gutdünken zu lehren, sondern das er nach Vorschrift und im Namen eines andern vorzutragen angestellt ist. Er wird sagen: unsere Kirche lehrt dieses oder jenes; das sind die Beweisgründe, deren sie sich bedient. Er zieht alsdann allen praktischen Nutzen für seine Gemeinde aus Satzungen, die er selbst nicht mit voller Überzeugung unterschreiben würde, zu deren Vortrag er sich gleichwohl anheischig machen kann, weil es doch nicht ganz unmöglich ist, daß darin Wahrheit verborgen läge, auf alle Fälle aber wenigstens doch nichts der innern Religion Widersprechendes darin angetroffen wird. Denn glaubte er das letztere darin zu finden, so würde er sein Amt mit Gewissen nicht verwalten können; er müßte es niederlegen. Der Gebrauch also, den ein angestellter Lehrer von seiner Vernunft vor seiner Gemeinde macht, ist bloß einPrivatgebrauch, weil diese immer nur eine häusliche, obzwar noch so große Versammlung ist; und in Ansehung dessen ist er als Priester nicht frei und darf es auch nicht sein, weil er einen fremden Auftrag ausrichtet. Dagegen als Gelehrter, der durch Schriften zum eigentlichen Publikum, nämlich der Welt spricht, mithin der Geistliche imöffentlichen Gebrauche seiner Vernunft, genießt einer uneingeschränkten Freiheit, sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen und in seiner eigenen Person zu sprechen. Denn daß die Vormünder des Volks [A488] (in geistlichen Dingen) selbst wieder unmündig sein sollen, ist eine Ungereimtheit, die auf Verewigung der Ungereimtheiten hinausläuft.

Aber sollte nicht eine Gesellschaft von Geistlichen, etwa eine Kirchenversammlung oder eine ehrwürdige Classis (wie sie sich unter den Holländern selbst nennt), berechtigt sein, sich eidlich auf ein gewisses unveränderliches Symbol zu verpflichten, um so eine unaufhörliche Obervormundschaft über jedes ihrer Glieder und vermittelst ihrer über das Volk zu führen und diese so gar zu verewigen? Ich sage: das ist ganz unmöglich. Ein solcher Kontrakt, der auf immer alle weitere Aufklärung vom Menschengeschlechte abzuhalten geschlossen würde, ist schlechterdings null und nichtig; und sollte er auch durch die oberste Gewalt, durch Reichstage und die feierlichsten Friedensschlüsse bestätigt sein. Ein Zeitalter kann sich nicht verbünden und darauf verschwören, das folgende in einen Zustand zu setzen, darin es ihm unmöglich werden muß, seine (vornehmlich so sehr angelegentliche) Erkenntnisse zu erweitern, von Irrtümern zu reinigen und überhaupt in der Aufklärung weiterzuschreiten. Das wäre ein Verbrechen wider die menschliche Natur, deren ursprüngliche Bestimmung gerade in diesem Fortschreiten besteht; und die Nachkommen sind also vollkommen dazu berechtigt, jene Beschlüsse, als unbefugter und frevelhafter Weise genommen, zu verwerfen. Der Probierstein [A489] alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen werden kann, liegt in der Frage: ob ein Volk sich selbst wohl ein solches Gesetz auferlegen könnte? Nun wäre dieses wohl, gleichsam in der Erwartung eines bessern, auf eine bestimmte kurze Zeit möglich, um eine gewisse Ordnung einzuführen: indem man es zugleich jedem der Bürger, vornehmlich dem Geistlichen, frei ließe, in der Qualität eines Gelehrten öffentlich, d. i. durch Schriften, über das Fehlerhafte der dermaligen Einrichtung seine Anmerkungen zu machen, indessen die eingeführte Ordnung noch immer fortdauerte, bis die Einsicht in die Beschaffenheit dieser Sachen öffentlich so weit gekommen und bewähret worden, daß sie durch Vereinigung ihrer Stimmen (wenngleich nicht aller) einen Vorschlag vor den Thron bringen könnte, um diejenigen Gemeinden in Schutz zu nehmen, die sich etwa nach ihren Begriffen der besseren Einsicht zu einer veränderten Religionseinrichtung geeinigt hätten, ohne doch diejenigen zu hindern, die es beim alten wollten bewenden lassen. Aber auf eine beharrliche, von niemanden öffentlich zu bezweifelnde Religionsverfassung auch nur binnen der Lebensdauer eines Menschen sich zu einigen, und dadurch einen Zeitraum in dem Fortgange der Menschheit zur Verbesserung gleichsam zu vernichten und fruchtlos, dadurch aber wohl gar der Nachkommenschaft nachteilig zu machen ist schlechterdings unerlaubt. Ein Mensch kann zwar für seine Person [A490] und auch alsdann nur auf einige Zeit in dem, was ihm zu wissen obliegt, die Aufklärung aufschieben; aber auf sie Verzicht zu tun, es sei für seine Person, mehr aber noch für die Nachkommenschaft, heißt die heiligen Rechte der Menschheit verletzen und mit Füßen treten. Was aber nicht einmal ein Volk über sich selbst beschließen darf, das darf noch weniger ein Monarch über das Volk beschließen; denn sein gesetzgebendes Ansehen beruht eben darauf, daß er den gesamten Volkswillen in dem seinigen vereinigt. Wenn er nur darauf sieht, daß alle wahre oder vermeinte Verbesserung mit der bürgerlichen Ordnung zusammenbestehe, so kann er seine Untertanen übrigens nur selbst machen lassen, was sie um ihres Seelenheils willen zu tun nötig finden; das geht ihn nichts an, wohl aber zu verhüten, daß nicht einer den andern gewalttätig hindere, an der Bestimmung und Beförderung desselben nach allem seinen Vermögen zu arbeiten. Es tut selbst seiner Majestät Abbruch, wenn er sich hierin mischt, indem er die Schriften, wodurch seine Untertanen ihre Einsichten ins reine zu bringen suchen, seiner Regierungsaufsicht würdigt, sowohl wenn er dieses aus eigener höchsten Einsicht tut, wo er sich dem Vorwurfe aussetzt: Caesar non est supra grammaticos, als auch und noch weit mehr, wenn er seine oberste Gewalt soweit erniedrigt, den geistlichen Despotism einiger Tyrannen [A491] in seinem Staate gegen seine übrigen Untertanen zu unterstützen.

Wenn denn nun gefragt wird: leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung. Daß die Menschen, wie die Sachen jetzt stehen, im ganzen genommen, schon imstande wären oder darin auch nur gesetzt werden könnten, in Religionsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines andern sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel. Allein, daß jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin frei zu bearbeiten und die Hindernisse der allgemeinen Aufklärung oder des Ausganges aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit allmählich weniger werden, davon haben wir doch deutliche Anzeigen. In diesem Betracht ist dieses Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung oder das Jahrhundert FRIEDERICHS.

Ein Fürst, der es seiner nicht unwürdig findet zu sagen, daß er es für Pflicht halte, in Religionsdingen den Menschen nichts vorzuschreiben, sondern ihnen darin volle Freiheit zu lassen, der also selbst den hochmütigen Namen der Toleranz von sich ablehnt, ist selbst aufgeklärt und verdient von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige gepriesen zu werden, der zuerst das menschliche Geschlecht der Unmündigkeit, wenigsten von seiten der Regierung, entschlug und jedem frei ließ, sich [A492] in allem, was Gewissensangelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu bedienen. Unter ihm dürfen verehrungswürdige Geistliche, unbeschadet ihrer Amtspflicht, ihre vom angenommenen Symbol hier oder da abweichenden Urteile und Einsichten in der Qualität der Gelehrten frei und öffentlich der Welt zur Prüfung darlegen; noch mehr aber jeder andere, der durch keine Amtspflicht eingeschränkt ist. Dieser Geist der Freiheit breitet sich auch außerhalb aus, selbst da, wo er mit äußeren Hindernissen einer sich selbst mißverstehenden Regierung zu ringen hat. Denn es leuchtet dieser doch ein Beispiel vor, daß bei Freiheit für die öffentliche Ruhe und Einigkeit des gemeinen Wesens nicht das mindeste zu besorgen sei. Die Menschen arbeiten sich von selbst nach und nach aus der Rohigkeit heraus, wenn man nur nicht absichtlich künstelt, um sie darin zu erhalten.

Ich habe den Hauptpunkt der Aufklärung, d. i. des Ausganges der Menschen aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit, vorzüglich in Religionssachen gesetzt, weil in Ansehung der Künste und Wissenschaften unsere Beherrscher kein Interesse haben, den Vormund über ihre Untertanen zu spielen, überdem auch jene Unmündigkeit, so wie die schädlichste, also auch die entehrendste unter allen ist. Aber die Denkungsart eines Staatsoberhaupts, der die erstere begünstigt, geht noch weiter und sieht ein: daß selbst in Ansehung seiner Gesetzgebung [A493] es ohne Gefahr sei, seinen Untertanen zu erlauben, von ihrer eigenen Vernunft öffentlichen Gebrauch zu machen und ihre Gedanken über eine bessere Abfassung derselben, sogar mit einer freimütigen Kritik der schon gegebenen, der Welt öffentlich vorzulegen; davon wir ein glänzendes Beispiel haben, wodurch noch kein Monarch demjenigen vorging, welchen wir verehren.

Aber auch nur derjenige, der, selbst aufgeklärt, sich nicht vor Schatten fürchtet, zugleich aber ein wohldiszipliniertes zahlreiches Heer zum Bürgen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat, – kann das sagen, was ein Freistaat nicht wagen darf: Räsonniert, soviel ihr wollt, und worüber ihr wollt; nur gehorcht! So zeigt sich hier ein befremdlicher, nicht erwarteter Gang menschlicher Dinge; sowie auch sonst, wenn man ihn im großen betrachtet, darin fast alles paradox ist. Ein größerer Grad bürgerlicher Freiheit scheint der Freiheit des Geistes des Volks vorteilhaft und setzt ihr doch unübersteigliche Schranken; ein Grad weniger von jener verschafft hingegen diesem Raum, sich nach allem seinen Vermögen auszubreiten. Wenn denn die Natur unter dieser harten Hülle den Keim, für den sie am zärtlichsten sorgt, nämlich den Hang und Beruf zum freien Denken, ausgewickelt hat: so wirkt dieser allmählich zurück auf die Sinnesart des Volks, (wodurch dies der Freiheit zu handeln [A494] nach und nach fähiger wird), und endlich auch sogar auf die Grundsätze der Regierung, die es ihr selbst zuträglich findet, den Menschen, der nun mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln.¹

 

Königsberg in Preußen, den 30. Septemb. 1784.               I. Kant.

 http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/texte/kant/aufklaer.htm

 

 

Wir setzen uns ein für die Verwirklichung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

PRÄAMBEL

Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet,

da die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen, und da verkündet worden ist, daß einer Welt, in der die Menschen Rede- und Glaubensfreiheit und Freiheit von Furcht und Not genießen, das höchste Streben des Menschen gilt,

da es notwendig ist, die Menschenrechte durch die Herrschaft des Rechtes zu schützen, damit der Mensch nicht gezwungen wird, als letztes Mittel zum Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung zu greifen,

da es notwendig ist, die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Nationen zu fördern,

da die Völker der Vereinten Nationen in der Charta ihren Glauben an die grundlegenden Menschenrechte, an die Würde und den Wert der menschlichen Person und an die Gleichberechtigung von Mann und Frau erneut bekräftigt und beschlossen haben, den sozialen Fortschritt und bessere Lebensbedingungen in größerer Freiheit zu fördern,

da die Mitgliedstaaten sich verpflichtet haben, in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen auf die allgemeine Achtung und Einhaltung der Menschenrechte und Grundfreiheiten hinzuwirken,

da ein gemeinsames Verständnis dieser Rechte und Freiheiten von größter Wichtigkeit für die volle Erfüllung dieser Verpflichtung ist,

verkündet die Generalversammlung

diese Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal, damit jeder einzelne und alle Organe der Gesellschaft sich diese Erklärung stets gegenwärtig halten und sich bemühen, durch Unterricht und Erziehung die Achtung vor diesen Rechten und Freiheiten zu fördern und durch fortschreitende nationale und internationale Maßnahmen ihre allgemeine und tatsächliche Anerkennung und Einhaltung durch die Bevölkerung der Mitgliedstaaten selbst wie auch durch die Bevölkerung der ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Gebiete zu gewährleisten.

Artikel 1

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.

Artikel 2

Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.

Des weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebietes, dem eine Person angehört, gleichgültig ob dieses unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder sonst in seiner Souveränität eingeschränkt ist.

Artikel 3

Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.

Artikel 4

Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen sind verboten.

Artikel 5

Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.

Artikel 6

Jeder hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden.

Artikel 7

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung, die gegen diese Erklärung verstößt, und gegen jede Aufhetzung zu einer derartigen Diskriminierung.

Artikel 8

Jeder hat Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei den zuständigen innerstaatlichen Gerichten gegen Handlungen, durch die seine ihm nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehenden Grundrechte verletzt werden.

Artikel 9

Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden.

Artikel 10

Jeder hat bei der Feststellung seiner Rechte und Pflichten sowie bei einer gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Beschuldigung in voller Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht.

Artikel 11

1. Jeder, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange seine Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, in dem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.

2. Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine schwerere Strafe als die zum Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.

Artikel 12

Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.

Artikel 13

1. Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen.

2. Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.

Artikel 14

1. Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.

2. Dieses Recht kann nicht in Anspruch genommen werden im Falle einer Strafverfolgung, die tatsächlich auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art oder auf Grund von Handlungen erfolgt, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen.

Artikel 15

1. Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit.

2. Niemandem darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das Recht versagt werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln.

Artikel 16

1. Heiratsfähige Männer und Frauen haben ohne jede Beschränkung auf Grund der Rasse, der Staatsangehörigkeit oder der Religion das Recht, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Sie haben bei der Eheschließung, während der Ehe und bei deren Auflösung gleiche Rechte.

2. Eine Ehe darf nur bei freier und uneingeschränkter Willenseinigung der künftigen Ehegatten geschlossen werden.

3. Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat.

Artikel 17

1. Jeder hat das Recht, sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit anderen Eigentum innezuhaben.

2. Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden.

Artikel 18

Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.

Artikel 19

Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.

Artikel 20

1. Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen.

2. Niemand darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören.

Artikel 21

1. Jeder hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken.

2. Jeder hat das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern in seinem Lande.

3. Der Wille des Volkes bildet die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt; dieser Wille muß durch regelmäßige, unverfälschte, allgemeine und gleiche Wahlen mit geheimer Stimmabgabe oder einem gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Ausdruck kommen.

Artikel 22

Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuß der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.

Artikel 23

1. Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.

2. Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

3. Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen.

4. Jeder hat das Recht, zum Schutze seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten.

Artikel 24

Jeder hat das Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßigen bezahlten Urlaub.

Artikel 25

1. Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.

2. Mütter und Kinder haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung. Alle Kinder, eheliche wie außereheliche, genießen den gleichen sozialen Schutz.

Artikel 26

1. Jeder hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muß allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen.

2. Die Bildung muß auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muß zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen rassischen oder religiösen Gruppen beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.

3. Die Eltern haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die ihren Kindern zuteil werden soll.

Artikel 27

1. Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.

2. Jeder hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen.

Artikel 28

Jeder hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.

Artikel 29

1. Jeder hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entfaltung seiner Persönlichkeit möglich ist.

2. Jeder ist bei der Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zweck vorsieht, die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten anderer zu sichern und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und des allgemeinen Wohles in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen.

3. Diese Rechte und Freiheiten dürfen in keinem Fall im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen ausgeübt werden.

Artikel 30

Keine Bestimmung dieser Erklärung darf dahin ausgelegt werden, daß sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person irgendein Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, welche die Beseitigung der in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten zum Ziel hat.

http://www.un.org/depts/german/grunddok/ar217a3.html

„Wo wohnst du?“ „Was bist du?“ „Welche Religion?“ „Welche Rasse?“ „Welche Nationalität?“ Im Laufe des 21. Jahrhunderts wird es der Menschheit entweder klargeworden sein, dass diese Fragen absurd und antievolutionär sind, oder es wird nicht mehr länger Menschen auf der Erde geben.“

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„Wo wohnst du?“ „Was bist du?“ „Welche Religion?“ „Welche Rasse?“  „Welche Nationalität?“ Im Laufe des 21. Jahrhunderts wird es der Menschheit entweder klargeworden sein, dass diese Fragen absurd und antievolutionär sind, oder es wird nicht mehr länger Menschen auf der Erde geben.“

von Richard Buckminister Fuller (USA) aus Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde